Deutsche Broadcaster werfen Werbe-Know-how in die Waagschale

06-17-2022 09:03 o'clock, by media plan

Unser CCO Andreas Kösling im Interview mit New Business:

Durch die Ankündigung von US-Streaming-Plattformen, werbefinanzierte Angebote starten zu wollen, droht deutschen TV-Gruppen neue Konkurrenz. Media-Plan-CCO Andreas Kösling sieht die hiesige TV-Branche zwar gut aufgestellt, mahnt aber weitere Anstrengungen der Vermarkter an.

Der TV-Werbemarkt bekommt aus verschiedenen Richtungen Gegenwind. Nicht nur, dass die Spendings nach der Lockerung der Corona Beschränkungen langsam wieder anziehen, aber durch neue Krisen erneut einbrechen könnten, droht auch von den GAFAs weiteres Ungemach. Denn zum anhaltenden Shift von Werbegeldern Richtung Digital kommen neue Ambitionen von Amazon, Disney+ und Co. hinsichtlich werbefinanziertem Bewegtbild hinzu. Welche Auswirkungen die neue Konkurrenz durch US-Streaming-Plattformen auf deutsche TV-Vermarkter haben wird, wie neue Produkte der Vermarkter aus Mediasicht bewertet werden und wie attraktiv die Total-Video-Ansätze der TV-Gruppen tatsächlich für den Werbemarkt sind, verrät Andreas Kösling, Chief Customer Officer bei der Mediaagentur Media Plan mit Stammbüro in Baden-Baden, im Interview mit ‘new business’.

nb: Herr Kösling, Streaming-Plattformen wie Disney+, Amazon Prime Video und Netflix haben werbefinanzierte Angebote angekündigt. Welche Auswirkungen wird die neue US-Konkurrenz auf den deutschen TV-Werbemarkt haben?

Andreas Kösling: Es war abzusehen, dass dies passieren wird. Bei dem Sättigungsgrad an Streaming-Angeboten mussten die Anbieter feststellen, dass nun das Abo- und Zuschauerwachstum ausgeschöpft ist und der Verdrängungswettbewerb zunimmt. Natürlich kommt es jetzt darauf an, wie sich die US-Konzerne verhalten. Wir haben hier in Deutschland verschiedene TV-Häuser, die sich mit der entsprechenden Vermarktung von Bewegtbild schon Jahrzehnte lang beschäftigen und sehr professionell agieren. In diesem Markt sehe ich Amazon und Disney+ im Vorteil, da sie schon Know-how und ein Vermarkterteam mitbringen. Netflix hingegen muss sich eine eigene Vermarktungsstruktur erst aufbauen oder sich einen etablierten Partner suchen. Für uns als Mediapartner ist die Erweiterung des Angebotes der Streaming-Plattformen eine schöne Möglichkeit unsere Kunden und Partner noch erfolgreicher werben zu lassen. Da die StreamingAnbieter generell über Log-in-Daten verfügen, besteht ein Wettbewerbsvorteil in der Zielgruppenansprache. Ich gehe aber davon aus, dass die etablierten Vermarkter diesen Vorteil durch neue Messmethoden aufholen. Darüber hinaus bietet das werbefinanzierte Streaming eventuell Zielgruppen, die klassisch nicht mehr erreicht werden, aber dennoch wertvoll für die Werbewirtschaft sind. Ich muss aber auch sagen, dass ich keine dramatischen Veränderungen des TV-Werbemarktes sehe, da sich die Entwicklung eher auf den digitalen Bereich auswirkt. Durch die Krise der letzten Jahre haben wir gesehen, was für eine hohe Relevanz klassisches TV nach wie vor hat – vor allem mit den Möglichkeiten, die wir in Zukunft innerhalb der Entertainment-Angebote der deutschen Broadcaster haben werden.

 

”Programmatic-TV ist für mich der Werbe-Weg der Zukunft!“

 

nb: Welche Möglichkeiten meinen Sie hier konkret?

Kösling: Programmatic, Live-Messung von Reichweite, Real-Time-Buchungen bei Zielgruppen-Peaks, innovative Werbeformen in starken Formaten usw.

nb: Inwiefern glauben Sie, dass sich Spendings von klassischem TV zu werbefinanzierten Streaming-Plattformen verschieben?

Kösling: Solange es keine Gesamtmessung gibt, wird das Thema Streaming wie gesagt sehr stark auf digitale Budgets abzielen. Auch hier werden meiner Meinung nach die Karten neu gemischt, wenn eine Vergleichbarkeit hergestellt wird. Erst wenn alle 100-Meter-Bahnen wirklich 100 Meter lang sind, wissen wir, welche Zeit die Richtige ist.

nb: Um TV-Werbung gegenüber anderen Gattungen attraktiver zu machen, hat unter anderem Seven.One Media das Produkt Programmatic-TV gelauncht. Wie bewerten Sie aus Mediasicht dieses neue Tool?

Kösling: Fantastisch! Das ist der richtige Weg, vor allem für uns als “Brandformance-Agentur” sehr wertvoll, da wir unseren Partnern und Kunden noch mehr Transparenz und Messbarkeit liefern können. Ich freue mich sehr, wenn die Seven.One Media das so umgesetzt bekommt, dass alles so professionell läuft wie im klassischen Bereich. Das ist absolut die Zukunft von TV und Fernsehwerbung – für mich, der Werbeweg der Zukunft! Richtig fliegen wird das Thema, wenn alle Vermarkter vergleichbare Angebote im Portfolio haben.

nb: Mit welchem Zeitraum rechnen Sie hier?

Kösling: Gerne morgen, aber ehrlich gesagt kann ich mich dazu nicht verlässlich äußern.

nb: Wie attraktiv sind die Total-Video-Ansätze der TVVermarkter für den Werbemarkt? Inwiefern ist eine tatsächliche Vergleichbarkeit von linearem und digitalem Bewegtbild gegeben?

Kösling: Ich halte es für absolut richtig und wichtig, Formate auf Plattformen zu verlängern, die sich der Zuschauer zu jeder Uhrzeit ansehen kann. Dass dort Werbung platziert werden kann, ist für das Erreichen aller Zielgruppen essenziell. Gerade mit den verlängerten Angeboten sowie mit den VoD-Only-Formaten erreichen wir gerade die im linear rückläufigen jungen Zuschauer. Mein Gefühl ist es jedoch, dass wir hier noch weitere Umsetzungsmöglichkeiten benötigen. Ich finde zum Beispiel die aktuelle Platzierung der Werbung im Digital-Bereich nicht konsumentenfreundlich, da oftmals der Break der Werbung falsch gesetzt ist. Hier muss meines Erachtens noch einiges passieren, um die Emotion aufrecht zu erhalten. Der Werbeblock muss konsumentenfreundlicher werben. Im klassischen TV funktioniert das besser, da der Zuschauer durch die Moderation zur Werbung mitgenommen und geführt wird.

 

”Durch werbefinanzierte Angebote der US-Streaming-Plattformen sehe ich keine dramatischen Veränderungen des TV-Werbemarktes.“

 

nb: Programmatic, Addressable-TV, regionale TV-Werbung – die TV-Werbeangebote entwickeln sich rasant weiter. Wo sehen Sie trotz der Veränderungen noch Defizite im TV-Werbemarkt, und wie können Bewegtbildvermarkter diesen begegnen?

Kösling: Bei der Vielfalt an Möglichkeiten, die wir haben, ist es für mich wichtig eine einheitliche Messung herzustellen. Wir brauchen einen Marktstandard! Ohne Marktstandard kann ich nicht challengen, wo welches Angebot besser funktioniert. Vermarkter müssen zusammenarbeiten, um Programmatic einheitlich zu gestalten. Denn die zentrale Frage sollte doch bei allen sein: Was bringt unsere Partner und Kunden weiter, um auch die Produkte entsprechend in den Markt zu bringen? Hier gibt es ja auch schon einige Ansätze wie beispielsweise D-Force, das Joint-Venture von Seven.One Media und Ad Alliance – das ist für mich ein essenzieller Schritt. Wenn das weiter funktioniert, bleiben die Angebote der Vermarkter weiterhin sehr spannend, vielseitig und absolut konkurrenzfähig gegenüber Angeboten wie den Streaming-Anbietern und gegenüber den Tech-Companies aus den USA.

nb: Inwieweit muss die D-Force weiterentwickelt werden?

Kösling: Wichtig ist, dass man Marktstandards schafft, pflegt und entwickelt. Deshalb sind aus meiner Sicht ein Festhalten und eine Weiterführung von D-Force sehr wichtig. Wichtig ist und war, dass man die zu erzielenden Reichweiten anpasst und somit eine Sprache spricht.

nb: TV-Sender holen reihenweise Retro-Formate zurück auf den Bildschirm. Wie ordnen Sie diese Entwicklung ein? Welche Content-Umfelder wünschen Sie sich zusätzlich bzw. stattdessen im linearen TV?

Kösling: Viele Gespräche im privaten Umfeld drehen sich um das Gestern. Viele Menschen bewegen sich gerne in bekanntem Umfeld. Das gibt Sicherheit. Der Mensch freut sich über vertraute Formate, daher finde ich es super, wenn Programmklassiker neu gedacht und entsprechend anpasst werden. Ich glaube, die perfekte Mischung ist entscheidend, wie beispielsweise bei der Sendung ‘Wer stiehlt mir die Show?’. Ein bekanntes Genre, die Quizshow, wird in diesem Fall mit einem innovativen Konzept kombiniert. Natürlich darf man aber auch nicht vergessen, dass am Fließband immer wieder neue Formate kreiert werden.

 

”Vermarkter müssen zusammenarbeiten, um Programmatic einheitlich zu gestalten. Wenn das weiter funktioniert, bleiben die Angebote der Vermarkter konkurrenzfähig.“

 

Über Media Plan: Die Mediaagentur Media Plan wurde 1994 von Frank Lankers gegründet, der Geschäftsführer des Unternehmens ist. Der Dienstleister mit Fokus auf die Bereiche Strategie & Consulting beschäftigt an den Standorten in Baden-Baden, München, Berlin und Wien über 80 Mitarbeitende und zählt rund 50 Unternehmen (darunter HSE 24, Hello Fresh und Smava) zu seinem Kundenstamm.